Im Stich gelassen

12. August 2010

Das tragische Zugunglück vom 13. April 2010, bei dem neun Menschen zu Tode kamen, stimmte betroffen. Es stürzte Hinterbliebene und Verletzte in schwierige Lebenslagen. Nach vier Monaten macht betroffen, dass die angekündigte Soforthilfe nicht alle erreicht hat

„Mit dem Tode von Julian haben ich und meine zwei Kinder im Alter von vier und zwei Jahren nicht nur den Partner und Vater verloren, sondern auch das regelmäßige Einkommen“, sagt Melanie Trojer. Die Lebensgefährtin des Zugführers Julian Hartmann ist noch immer traumatisiert. Dazu kommen die Sorgen um den täglichen Lebensunterhalt. Das Konto des Lebensgefährten war sofort gesperrt worden, da das Paar nicht verheiratet war.  Von der „schnellen unbürokratische Soforthilfe“, wie von Politikern unter dem ersten Eindruck der schrecklichen Ereignisse vollmundig bekundet, hat sie nach vier Monaten noch keinen Euro gesehen. „Über die Runden komme ich nur dank Familienangehörigen, Freunden und Spendern“, so Trojer. Die 6.000 Euro, die für jeden Toten ausbezahlt wurden, (laut LR Richard Theiner zur Deckung der Beerdigungspesen, Solidaritätsbeitrag nennt es die Caritas), hatte Julian Hartmanns Vater erhalten. Die 6.000 Euro waren bislang auch der einzige Beitrag, den Armin Stecher aus Prad bekommen hat. Beim Zugunglück hatte er seine Lebensgefährtin Michaela Zöschg und die Mutter seines neugeborenen Sohnes verloren. „Die Summe hat gerade für die Beerdigung  gereicht“, so Stecher. Er nahm als Lehrer den Vaterschaftsurlaub in Anspruch. Nach dessen Verlängerung muss er ab September eine 70prozentige Gehalteseinbuße in Kauf nehmen. Er macht sich Sorgen, wie er den Kredit für das Haus zurückzahlen soll. Denn auch in seinem Fall fehlt nach dem verhängnisvollen 13. April das zweite Gehalt. In beiden Fällen hatten Mitarbeiter der Caritas vorgesprochen, die Vermögenslage  durchleuchtet und vertröstet. Im September würde sich weiteres tun. Die Ankündigung „schnelle, unbürokratische Soforthilfe“ muss anhand dieser zwei Beispiele hinterfragt werden. Wie definiert man Soforthilfe? Und hat diese Ankündigung nicht auch Spendengelder verhindert? Laut Caritas Direktor Heiner Schweigkofler sind die Spendenflüsse rund zwei Wochen nach dem Unglück versiegt. Die Landesregierung hatte sofort 100.000 Euro an die Caritas zur Verteilung überwiesen. Dazu kamen noch die 84.000 Euro vom Caritas Spendenkonto, die unter anderem mit Hilfe der Despar-Spendenaktion zusammen gekommen sind.  Schweigkofler weist entschieden zurück, dass es mit der Soforthilfe nicht geklappt hat und stellt klar: „Wir müssen verantwortlich mit den uns anvertreuten Geldern umgehen und können sie nicht nach Gutdünken verteilen, ohne die einzelnen Situationen genau überprüft zu haben. Und das braucht seine Zeit. Wir arbeiten nach dem Dreiphasenmodell: 1. Solidaritätsbeiträge für Hinterbliebene, 2. Solidaritätsbeiträge für Verletzte und 3. weitere Gelder für Härtefälle.“  Zwei Wochen nach dem Unglück habe man den Hinterbliebenen der Toten die 6.000 Euro Solidaritätsbeitrag ausbezahlt. Es fanden Treffen mit den Verletzten statt, und diese erhielten im Juni je nach eigener Einschätzung bis zu 2.500 Euro. Bei Schwerverletzten erfolgte im Juli eine Nachbesserung von bis zu 2.500 Euro.  Nun wolle man den Rest an Härtefälle verteilen, so Schweigkofler. Die Thematik sei sensibel. Es gehe nicht nur ums Geld, sondern um Solidarität und darum, Netzwerke aufbauen, die Betroffene langfristig stützen. Das Netzwerk besteht aus Caritas, Sozialdienste der Bezirksgemeinschaften, aus dem Psychologischen Dienst und dem Landesamt für Soziales Jugend und Familie. „Die Zusammenarbeit funktioniert. Im Falle Melanie Trojer haben wir dafür gesorgt, dass sie durch die Sozialhilfe abgesichert ist.“ so Schweigkofler. Trojer bestätigt das nicht: „Darum muss ich mich selbst kümmern.“ Die Erklärungen der Caritas ändern nichts an der Tatsache, dass sich die junge Mutter in Meran und der junge Vater in Prad im Stich gelassen fühlen. (mds)

Schlagwörter: