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„I honn a laars Zaignis kriag“

26. August 2010 Kommentare aus

Paula Kofler Niederholzer, geb. 1922, Laas, blättert im Reiseführer aus Spanien. „Nachdem sie ihre Rente erhielt, begann sie zu reisen: „Iaz konn i laidr nimmr gean unt honn lai mea di scheanan Erinnerungen.“

Wenn Frau Paula von ihrer Schulzeit erzählt, spürt sie Unbehagen. „Seit selm hon i dia Moosl“, sagt sie und zeigt auf die Narbe an der Stirn. Sie ging ungern in die Schule, nachdem sie mit Entsetzen feststellte, dass es für  jedes deutsch gesprochene Wort Schläge gab. Daraufhin beschloss sie, überhaupt kein Wort mehr zu sprechen. „Viva il Duce, viva il re honn i nia gsogg“, erklärt sie, und das ärgerte die Lehrerin maßlos. Als Paula erfuhr, dass die Lehrerin für jedes Kind, das aufsteigen konnte, eine Prämie zu erwarten hatte, schwieg sie trotzig auch bei der Abschlussprüfung. Das wurde ihr zum Verhängnis. Wutentbrannt holte die Lehrerin den Meterstab und schlug auf Paulas Kopf, bis eine tiefe blutende Platzwunde klaffte. Die Lehrerin blieb unbehelligt. „I honn a laars Zeugnis kriag, weil i nit gerett honn“, erinnert sich Paula.

Ein Schulabschluss interessierte damals kaum. Wichtiger war es, dass Jugendliche anpacken konnten. Paula war als Zweitälteste von zehn Kindern auf dem Hof in Tschars mit 20 Kühen und etwas Galtvieh gefordert und überfordert. Neben der Mithilfe im Haus und auf den Feldern hütete sie die jüngeren Geschwister, weil ein Wasserwaal am Hof vorbeifloss. Als Paula 14 Jahre alt war, entschied sie, dem Alltagstrott den Rücken zu kehren.  „Pa enk bleib i nimmer“, mit diesen Worten und mit einigen Habseligkeiten verließ sie das Elternhaus. Ihre verdutzte Mutter hinderte sie nicht daran, denn sie war sich sicher, dass ihre Tochter bald wieder kehrt machen würde. Dem war nicht so. Paula suchte ihre Tante in Naturns auf, die sie auf einen Gutshof weiterschickte. Dort nahm sie der Verwalter auf und sie verdiente sich ihr erstes Geld. Die Besitzverhältnisse änderten sich und Klosterfrauen kauften den Gutshof. Daraufhin wurde Paula an eine Frau in Nals vermittelt, wo sie kochen lernte und in der Bäckerei mithalf. Dann optierte ihr Vater für Hitler-Deutschland und er holte Paula heim. Diese war noch minderjährig und musste widerwillig gehorchen. Schon bald erhielt sie die Einberufung zum Arbeitsdienst, zuerst in ein Magazin in Schlanders und dann  zum Bärenwirt in Mals, wo Soldaten der Flugabwehr „Flak“, einquartiert waren. „Selm ischas zua gongan“, beschreibt sie. „Dia Burschn hoobm gsoffn unt sain norr af inz lous gongan.“ Paula war auf der Hut und versteckte sich rechtzeitig vor den lüsternen Männern. 1940 erhielt sie den Befehl, auf die Franzenshöhe zu wechseln, um dort für die SS-Männer zu kochen. Sie weigerte sich. „Stur bin i ollm gweesn“, lacht sie. Aber das nutzte ihr nichts, man holte sie in der Nacht aus dem Haus und sie musste für 50 bis 60 Leute kochen. „I hon olm auftischn gmiaßt, wia pa a Hozat“, betont sie. Die Arbeiter sollte sie hungern lassen. Doch Paula  steckte ihnen immer wieder etwas zu. Dafür wurde sie öfters zur Rede gestellt.  „Pan Zusammenbruch hoobn si norr meine Dokumente verbrennt“, ärgert sie sich. Der Arbeitsdienst hatte an ihren Kräften gezehrt, sie schwach gemacht, sodass sie es zuließ, dass ihr Vater ihr den Ehemann aussuchte. Der Laatscher Bauer Luis Niederholzer hatte um ihre Hand angehalten und 1946 war Hochzeit. „Ma hot miar in Willn gnumman, es isch selm wia verhext gweesn“, sagt sie. Sie zog zu ihrem Mann, bestand aber darauf, dass ihr jüngster Bruder sie begleitete. Dieser musste anfangs sogar bei ihr schlafen. Ihr Mann bedrängte sie nicht. Druck machte der Schwiegervater, der die Erbfolge gesichert haben wollte. Irgendwann kamen sich die Eheleute näher und das Ergebnis waren zwei Söhne. „Miar hoobns norr gonz guat mitnond kopp unt nia gstrittn“, sagt Paula. Als ihre Buben elf und sieben Jahre alt waren, starb Luis an einem Kopftumor. Unterstützung auf dem Hof erhielt sie kurz darauf von einer jungen Frau, die sie am Dorfbrunnen weinend antraf. Sie war schwanger und verstoßen worden. Fortan stand Paula laufend schwangeren Frauen bei. Diese halfen bei der Arbeit und hatten dafür ein Dach über dem Kopf. Mitte der 60er Jahre ging Paula die Beziehung mit Erwin Thurin ein und schenkte ihrer Tochter Carla das Leben. „A Madele honn i ollm gwellt“, unterstreicht sie. „Unt deis Madele schaug haint af miar.“ Paula lebt heute in einer Seniorenwohnung in Laas. Auch ihre Enkelkinder besuchen sie regelmäßig und erzählen ihr oft aus der Schule. Dass es ihnen dort Spaß macht, darüber ist sie froh: „Gott sei Donk sain haint ondere Zeitn.“

Magdalena Dietl Sapelza

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