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Bergbauer und Holzer

17. Dezember 2009 Kommentare aus

„Wos ma kennt hot, des verlearnt ma nimmer“, so ein Spruch des 82- jährigen „Vourburger Sepp“, a „Hoangert“ mit ihm wird zum spannenden Erlebnis

Nach einer herzlichen Begrüßung mit einem kräftigen Händedruck in der warmen Küche auf dem Vorburghof  oberhalb von Tschengls beginnen Josef Tappeiner und ich unser Gespräch. Geboren wurde er  als ältester Sohn der Bergbauernfamilie am 18. Jänner 1927. An seine früheste Kindheit erinnert er sich wenig, die Schmuggler, die ihren Nachhauseweg über die Tschenglser Höfe machten und manchmal rasteten am Hof, sind ihm jedoch lebhaft in Erinnerung. Auch sein Vater Peter half mit Schmuggelware aus der Schweiz das wenige Einkommen der Familie aufzubessern. Im Juli des Sommers 1933 wurde er im Laasertal von einem Carabiniere angeschossen. Getroffen, von hinten in die Hüfte, suchte sich die Kugel den Weg durch seinen Körper, blieb er einige Stunden bewusstlos liegen. Schwerverletzt wachte er auf und machte sich auf den Heimweg. Spätnachts kam er blutüberströmt und schwach zuhause an. „Miar sein darschrocken, obr froah gweesn, dasser nou gleb hott!“ Aus Angst vor dem Wundbrand ging Vater Peter zum Laaser Arzt Dr. Horrer, welcher ihn im Spital behandelte. Der Arzt musste Meldung machen. „Af oanmol sein di Carf vour dr Tir gwees´n und hob´m in Voter verhoftet und mitgnummen!“ Im September wurde er im Gefängnis in Trient für drei Jahre eingesperrt. Die hochschwangere Mutter mit vier kleinen Kindern blieb allein am Hof zurück. Es galt die Äcker zu bestellen, im Stall und Hof nach dem Rechten zu sehen. Die Nachbarn vom nahegelegenen „Türckhof“ standen ihnen tatkräftig zur Seite. In den Wintermonaten drückte der 6-jährige Sepp, mehr schlecht als recht, die Schulbank. „Di Leahrer hob´m it deitsch kennt, und miar it italienisch!“ In der verbotenen Katakombenschule mit der „Schualmoaschter Touna“ lernte er deutsch schreiben und lesen. Nach Erfüllung der Schulpflicht, ging er 16-jährig das erste Mal als Holzarbeiter in den Wald. Mit 18 Jahren musste er mit Josef Tschenett aus Tschengls zum Militärdienst beim deutschen Heer einrücken. Zuerst kamen sie nach Breslau, dann nach Hamburg und Holland. Hier machten sie eine Ausbildung für die Waffen SS. Weiter nach Bremen kam er in die Gefangenschaft der Engländer, hier hatte er seinen Begleiter aus den Augen verloren. In einem eingezäunten Lager schliefen die Gefangenen unter freiem Himmel. „Miar hob´m nix mea kop, lai mea di Housn und a Hemmat!” Weiter ging´s per Zugtransport nach Belgien. In Ostende wurde ihm seine Blutgruppe “A” auf den Oberarm tätowiert, und er wurde zum Hafen gebracht. Nach tagelangem Warten wurde er  nach England eingeschifft. „Zerscht hobm si Ponzer und Auto fan Schiff oglodn, norr sein miar 600 Gfongene inikemmen!“ An Bord bekamen sie trockene Kekse und „Conny-beaf“ Konservenfleisch. „Dr Durscht  isch schlimmer gwees´n als dr Hunger!“ Der starke Seegang führte dazu, dass alle Insassen des Schiffes seekrank wurden, sich erbrachen und Durchfall bekamen. Die zwei Tage Überfahrt nach England waren die Hölle. Im Hafen wurden sie entlaust und ordentlich gewaschen, bekamen frische Wäsche und eine englische Uniform. Nach Einheiten unterteilt kamen sie in verschiedene Lager. Als einziger Vinschger unter den 18 Südtirolern wurde auch er zu den österreichischen Gefangenen gezählt und musste auf Tomatenplantagen arbeiten. Seine Lieben zu Hause wussten anfangs wenig über seinen Verbleib. Durch monatliche Briefe von der Mutter Regina und vorgedruckte Karten des Roten Kreuzes waren sie in Briefkontakt. Über Belgien und Salzburg kam er nach Kriegsende nach Innsbruck in ein französisches Lager. Da er bei der Waffen SS war, misstraute man ihm, der Dorfpfarrer und die Fraktionsvorsteher von Tschengls mussten verschiedene Papiere für seine Freilassung per Bote nach Innsbruck schicken. Sepp dauerte das alles zu lange, so entschied er sich für die Flucht. Er kehrte über die grüne Grenze in den Vinschgau zurück. Am 19. August 1946 startete er seinen Fußmarsch von der Finstermünz bis nach Mals, spätabends kam er zuhause an. Die Nachkriegszeit war voller Entbehrungen. Durch Essenskarten konnte man sich mit wenigen Lebensmitteln eindecken. Der Schwarzhandel florierte. Für 100 Kilo Polenta bezahlte man 16.500 Lire, 300 Lire verdiente er als Holzarbeiter täglich. Nach der Gefangenschaft konnte Josef seine Kleider nicht mehr tragen, mit dem ersten Geld als Holzer ließ er sich ein Gewand vom „Siller Joggl“, dem Dorfschneider von Tschengls anfertigen. Ein paar „Extra-Lire“ besorgte er sich durch den Verkauf von Eichhörnchenfellen, von ihm geschossen brachte er sie zum Garber nach Mals. Seine wenige Freizeit verbrachte er mit den anderen Jungen von den Höfen auf dem Hinterburghof. Sie bauten sich eine Kegelbahn und spielten Karten, haben „gehoangertet“ und gesungen. Dort lernte er auch seine Frau Rosa Defatsch näher kennen und lieben. Arbeitsbedingt ging Rosa zwei Jahre in die Schweiz. Zurück in der Heimat, hielt Josef um ihre Hand an. Im Juni 1955 haben die beiden geheiratet, beim Kobler in Tschengls ein Fest gefeiert. Bald erblickten die Kinder Erna, Herta, Walter und Waltraud das Licht der Welt. Über ein Viertel-Jahrhundert war der „Vourburger Sepp“ Waaler am Berkwaal. In den Sommermonaten sorgte er dafür, dass die Tschenglser Bauern ihre Güter mit dem nötigen Nass versorgen konnten. Die „Wosserroadn“ wurden in einem von ihm geführten Buch angeführt, das tägliche „Wossr ounsogn“ bei den Bauern führten er und seine Kinder gewissenhaft aus. „Heint wundert mar oft, dass i noch seffl Strapazn bin sou olt gwortn!“

Brigitte Thoma