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Eine Weihnachtsgeschichte: „Iaz kimmp s’Christkindl nimmr“

16. Dezember 2010

Franziska Rudigier Ritsch, geboren 1922 in Nauders, und jetzt zu Hause im Seniorenheim von Laas.

Bereits am Vormittag des Heiligen Abends stieg die Spannung bei den zehn Kindern der Familie Rudigier in Nauders, als sie beobachteten, wie ihr Vater mit einer Säge in den verschneiten Wald stapfte. Es fehlte nur noch der Christbaum. Die Krippe stand bereits. Gespannt warteten die Kleinen auf die Rückkehr des Vaters. Die sechsjährige Franziska schuf sich mit ihrem warmen Hauch ein Guckloch im Eisblumengebilde auf dem Stubenfenster und drückte sich erwartungsvoll die Nase daran platt. Es dauerte nicht lange und der Vater kehrte zurück, mit einem buschigen Grün im Schlepptau. Kurz darauf betrat er mit einem Tannenbaum den Raum. Die Kinder stürmten ihm schwatzend und lachend entgegen und zupften den Schnee von den Ästen, der in der warmen Stube sofort zwischen den Fingern zerrann. Mit energischer Stimme ermahnte er die Sprösslinge damit aufzuhören und etwas leiser zu sein, damit er den Christbaum aufstellen könne. Es kehrte kurz Ruhe ein, bis der Baum stand und der Vater den Raum verlassen hatte, um den Christbaumschmuck zu holen. „Norr sein miar obr umma grennt unt hooba an Lorm kett“, erzählt Franziska. Alle waren aus dem Häuschen und nicht zu bändigen. Draußen erhob sich erneut die laute Stimme des Vaters. Und er drohte, den Baum zu zerhacken, wenn nicht sofort Stille einkehre. Die Machtworte wirkten einige Augenblicke, dann schnatterte die Schar wieder drauflos, auch weil sie Vaters Drohung nicht ernst nahmen. Niemals würde er das am Heiligen Abend tun, waren sie sich sicher. Doch plötzlich stand der Vater wütentbrannt mit einem Beil in der Tür, packte den Baum, zog ihn in den Hausgang und hackte auf ihn ein. Verdutzt standen die Kinder vor den grünen Stücken und begannen bitterlich zu weinen.  Der Vater schickte sie daraufhin in den Stall. Dort sollten sie zum Christkind beten und es für ihre Unfolgsamkeit um Verzeihung bitten. Tiefe Traurigkeit war dem Übermut gewichen. „Iaz kimmp s’Christkindl nimmer“, stammelte Franziska und Tränen kullerten über ihre Wangen. Eine Stunde später läutete dann doch das Glöcklein. Die Kinder schlichen sich muxmäuschenstill nach oben. Durch den Türspalt schimmerte ein Lichterschein aus der Stube. Vater und Mutter standen davor, schmunzelten und forderten  auf, die Tür zu öffnen. In diesem Augenblick glänzten zehn Augenpaare. „S betn hot gholfn, s Christkindl isch decht kemman“, rief Franziska und wieder kullerten die Tränen. Freudentränen waren es dieses Mal. Unter dem Christbaum lagen Selbstgestricktes, Äpfel, Nüsse, Kekse und die Kinder freuten sich riesig und  sangen bewegt das „Stille Nacht“. Erst später erfuhren sie, dass der Vater zwei Christbäume aus dem Wald mitgebracht hatte. Nachdem er einen ersten Baum gefällt hatte, stach ihm ein noch schönerer ins Auge und er nahm diesen ebenfalls mit. (mds)

 

 

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