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Hermann Flora Chronist mit dem Zeichenstift

26. August 2010

Den Hermann stelle ich mir vor als einen Teilnehmer an einer Schulkonferenz, wo über neue Lehrmethoden, Fachübergreifendes, über Schülerprofile, über Lehrmittel „gscheit“ geredet wird. Und über die Einbeziehung lokaler Aspekte in den Unterricht. Der etwas gelangweilte, meist stille Hermann ist ganz konzentriert, notiert… nein, er zeichnet … zeichnet einen Bauern beim Wassern, wie er das nierenförmige Wasserblech in einen Waal rammt, um das kostbare Nass gleichmässig über den durstigen Boden zu verteilen. Das alles hat er selbst auch schon gemacht oder genau beobachtet, auf der Malser Haide, wo die alte Familie Flora vielleicht Wiesen besitzt, dort, wo seit einiger Zeit eine moderne Beregnung das alte System abgelöst hat.

Die Bewahrung alten Brauchtums ist dem Hermann ein Anliegen, ebenso die Geschichte unseres Tales. Und so zeichnet er auf das gleiche Blatt auch ein zweirädriges Fahrzeug mit Pestleichen, die in den Friedhof gekarrt werden; auch davon erzählen alte Geschichten. Sagengestalten vermengen sich in Hermanns Zeichnungen mit schwungvoll, aus einem Strich entwickelten Radfahrern. Sie lassen an Zeichnungen seines berühmten Verwandten, an Paul Flora denken.

Aber Hermann Flora zeichnet aus Übermut, vielleicht aus Langeweile, um lange Sitzungen, Konferenzen zu ertragen. Er will gar kein Künstler sein. Deshalb hat er sich auch geweigert, zur Eröffnung an der extra für ihn organisierten Ausstellung in Latsch im „Spazio Rizzi“ zu erscheinen. Zahlreiche Freunde, darunter der Hausherr Walter Rizzi, haben ihm Einführungen gewidmet.

Der scheue Hermann ist engstens mit seiner Heimat Mals verbunden, war Hauptmann der Schützen, die er immer wieder zeichnet und mit den Carabinieri vergleicht. In Galauniform wirkt diese Leibtruppe des italienischen Königs sehr malerisch, ähnlich den Trägern von Tiroler Trachten. „Hätte man damals, in den fernen Zwanzigerjahren, die Südtiroler Schützen irgendwie integriert, ihnen also eine ehrende Aufgabe zugewiesen, dann gäbe es kein Südtirolproblem“, meint jemand in der Gasthausrunde. Die Schützen als eine Art Schweizergarde der Savoyer in Rom? Ein Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges denkt zurück und erklärt: „Weißt du, das mit Italien und dem König wäre gar nicht so schlecht gegangen! Österreich als Republik, daran wollte sich damals niemand gewöhnen.“ Dann aber kamen die Faschisten und haben alles vergiftet.

Darüber und über andere Probleme hat der Hermann viel geredet, vor allem mit seinen Zeichnungen. Auch als Architekt musste er alles genau darstellen, seine eigenen und die Wünsche der Bauherren sichtbar machen. Um sie den Handwerkern zu erklären.

Diese Fähigkeit erspart viel Arbeit! Schon bald kann bei einem Glas Wein die Welt wieder in Ordnung gebracht werden. Auch die Welt der Frauen. Wie Hermann, der hochgewachsene Frauenliebling, sie jetzt zeichnet, das ist aber nicht schön! Wandelnde Fettkugeln mit grimmigem Blick, mit Regenschirm und einem Hut, dessen Krempe an Saturnringe erinnert.

Aber auch die Schützen haben in den vergangenen Jahren an Volumen zugenommen. Nicht nur auf den Zeichnungen! Je breiter der Schütze, desto mehr bietet er Platz für Auszeichnungen. Hermanns Verhältnis zu seinen Kameraden verrät ein koloriertes Blatt mit neun grimmig blickenden Kameraden; einen zehnten Schützen drängen die Weintrinker ins Abseits.

Sind Hermanns Zeichnungen Ausschnitte aus seinem Leben? Als Architekt, Lehrer, Schütze, Dorfchronist, Familienvater? Der Organisator der Latscher Ausstellung, Leonardo Pellissetti, hat sich jahrelang um eine Ausstellung dieser unbeschwerten Arbeiten bemüht; gelungen ist dies erst durch den Einsatz von Hermanns Tochter Christa und des Sohnes Andreas. In der „Dolomiten“ vom 7.August 2010 erschien zur Eröffnung ein Artikel mit der Überschrift „Der abwesende Künstler“.

Das hat die Leute aber nicht davon abgehalten, gerade diese Ausstellung zu besuchen und mit den Bildern rege Zwiesprache zu halten. Kirche, Politik, Behörden, Moden, Sport – Hermanns Werk ist ein liebevoll ironisch gezeichnetes Tagebuch, das Werk eines 72 jährigen Zeitzeugens.

Hans Wielander

Zu den Bildern: Zeichnungen von Hermann Flora im „Spazio Rizzi“ in Latsch; die  Ausstellung wurde bis zum 20.August 2010 gezeigt.

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