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Vinschgerwind – Kommentar: „Von Cellulite, Falten und anderen schlimmen Übeln…“

6. Oktober 2005 Hinterlasse einen Kommentar

Die Menschheit hat im Lauf der Geschichte eine Vielzahl weiblicher Schönheitsideale hervorgebracht. Von der altsteinzeitlichen Venus von Willendorf über das kurvige Körperideal der Marilyn Monroe bis hin zum magersüchtigen Twiggy-Look der 60er Jahre – Frauen waren zu allen Zeiten mit Vorbildern konfrontiert, die zu erreichen Erfolg, Gesundheit oder gesellschaftliche Anerkennung versprach. Das Körperkonzept des 20. Jahrhunderts scheint allerdings immer mehr in eine Richtung zu drängen: Es genügt nicht, einen Körper zu haben, man muss auch etwas daraus machen. Und dafür hat die Werbung vorgesorgt: Es gibt Enthaarungs- und Faltencremes, Lotionen für Hände und Nägel, fürs Gesicht, die Füße, gegen Augenringe, für mehr Feuchtigkeit, für den Tag, für die Nacht – die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Werbesprüche wie „Was tun gegen Cellulite?“ oder „Weg mit den Falten im Gesicht“ suggerieren, dass Cellulite und Falten schreckliche Übel sind, mit denen frau nicht länger leben kann. Nicht nur wer sich in der Branche auskennt, weiß, dass es für jedes Alter und jede Lebenssituation den passenden Duft gibt. Und Sie verwenden immer noch kein Deo? Sie dreckiger Mensch! Das Fatale an der ganzen Sache ist, dass sich die Beauty-Industrie mit den Absatzmärkten Europa und Amerika nicht zufrieden gibt. Die Ideale sollen gefälligst auf der ganzen Welt gleich sein. Und während wir hier in der Sonne oder im Solarium vor uns hin rösten, hat die Schönheitsbranche für afrikanische Frauen längst Bleichmittel erfunden, in denen man baden kann, und in arabischen Ländern kann man in ganz normalen Familien immer öfter folgendes Muster erkennen: Die Großmutter ist sehr rundlich, die Mutter scheint das sogenannte „Normalgewicht“ zu haben, und die Tochter sieht aus wie ein Unterwäschemodel, nämlich spargeldürr.

Was die Werbeleute der großen Konzerne betrifft – man kann sie zu ihrem Talent beglückwünschen. Und was das Selbstbewusstsein der vielen Konsumentinnen angeht – man möchte ihnen ein bisschen mehr davon wünschen…

Nadja Thoma

Pflegenetzwerk wird aufgebaut

6. Oktober 2005 Kommentare aus

Vinschgerwind-Titel 12-05

Die Zahl der alten Menschen steigt. Deren Pflege und Betreuung wird zu einer Herausforderung für die Zukunft. Das grenzüberschreitende INTERREG – Projekt „Pflegende Angehörige“, getragen vom Regionalentwicklungszentrum GWR (Vinschgau), dem Regionalverein MIAR (Tirol) und den Sozial- und Gesundheitssprengeln der Bezirke Vinschgau, Landeck und Imst, spürte den Bedürfnissen der Pflegenden nach und will den Aufbau eines Netzwerkes vorantreiben, damit Pflege zu Hause nicht zur Überforderung führt. Ein viel versprechendes Projekt, als neue Perspektive für die Pflege.

von Magdalena Dietl Sapelza

Ein Schlaganfall warf das Leben der 75-jährigen Anna K. von einem Tag auf den anderen aus den gewohnten Bahnen. Bisher hatte sie sich selbst versorgt. Nun lag sie halbseitig gelähmt im Krankenhaus und hatte Schwierigkeiten sich mitzuteilen. Ihre Tochter war mit der Gegebenheit konfrontiert, dass ihre Mutter künftig regelmäßiger Pflege bedurfte. Sie durchlebte traumatische Momente, auf die sie sich nicht vorbereitet hatte. Durch die Pflege der Mutter veränderte sich nach und nach auch ihr Leben. Die Betreuung rund um die Uhr zehrte an ihren Kräften. Sie versuchte alles richtig zu machen und wurde dennoch von Schuldgefühlen geplagt. Ihre eigenen Bedürfnisse stellte sie hinten an. Die Dienste der Haus- und Hauskrankenpflege nahm sie nicht in Anspruch. Die Leute sollten nicht denken, dass sie es nicht allein schaffte. Und irgendwann war sie überfordert. Es folgten der körperliche und seelische Zusammenbruch. Die Mutter musste ins Altersheim gebracht werden. Neue Schuldgefühle drückten. Die Tochter machte sich nun den Vorwurf, nicht imstande gewesen zu sein, die eigene Mutter daheim zu pflegen.

Überforderung

Beim Punkt Überforderung setzt das grenzüberschreitende Interregprojekt „Pflegende Angehörige“ an. Getragen wird es vom Regionalentwicklungszentrum GWR, dem Regionalverein MIAR, und den Sozial- und Gesundheitssprengeln Mittel- und Obervinschgau. Für die Direktorin der Sozialdienste Martha Stecher ist es richtungsweisend, dass am Regionaltisch der Bezirksgemeinschaft Vinschgau neben wirtschaftlichen Themen auch soziale Themen Platz gefunden haben. Gereift war die Sache nicht zuletzt aus dem Bewusstsein heraus, dass das starke Pflegeaufkommen der Zukunft zu immer größeren finanziellen Belastungen führen wird,  was dem öffentlichen Haushalt zusetzt. Pflege zu Hause soll so organisiert werden, dass die Belastung nicht zu groß wird. Rund dreiviertel der alten Menschen werden derzeit im Familienkreis gepflegt und das soll auch zukünftig so bleiben können. Eine wesentliche Voraussetzung für die Pflege zu Hause ist, dass der Dauerdruck, der auf Pflegende lastet, abgefedert werden kann.  Im Vinschgau wird das Projekt „Pflegende Angehörige“ von den Sprengelleiterinnen Ladurner Irmgard (Mittelvinschgau) und Karin Tschurtschenthaler (Obervinschgau) in Zusammenarbeit mit den Einsatzleiterinnen der Hauspflege Lydia Riedl und Sonja Hölbling betreut. Pate stand ein Pilotprojekt im Bezirk Lienz, das im Jahre 2003 erfolgreich durchgeführt worden war.

Sich helfen lassen

„Ungehört, ungesehen, unbemerkt“, so beschreibt die Expertin für Altenbetreuung, Iren Steiner aus Altbach, die Pflegewirklichkeit. „Die Pflege zu Hause ist viel zu oft eine Privatsache und daraus entstehen vielschichtige Probleme“. Wenn pflegende Angehörige glauben, alles alleine schaffen zu müssen, beginnt sich ein Teufelskreis  aus Distanz, Unverständnis, mangelnder Resonanz und persönlicher Beschämung zu drehen. Steiner spricht von einem „inneren und äußeren Dschungel“, in dem Angehörige gefangen sind. Der „innere Dschungel“ entsteht, wenn es die Bereitschaft zu einem großen Leidendruck verhindert, professionelle Hilfestellungen in Anspruch zu nehmen. Das heißt, die Pflegenden haben oftmals ein großes Probleme, sich helfen zu lassen. Eine „äußerer Dschungel“ entsteht angesichts der Schwierigkeiten im Umgang mit den helfenden Einrichtungen und Strukturen, die nach eigenen Logiken und oft einseitigen Hilfskonzepten arbeiten. Diese Barrieren gilt es zu Gunsten eines partnerschaftlichen Umgangs zu überwinden. Die Pflegearbeit soll zu einer gemeinschaftlichen Verantwortung aller darin eingebundener Institutionen werden, damit sich Pflegende nicht allein gelassen fühlen und nicht in Isolation und Depression geraten. „Unsere Versorgungs- und Unterstützungslandschaft muss intelligenter werden“, so Steiner. Pflegende Angehörige sollten beispielsweise Wertschätzung erfahren, persönliche Freiräume nutzen und auch Urlaube genießen können. Die pflegenden Angehörigen müssen in einem Netzwerk bestehend aus professioneller Altenbetreuung, medizinischer Versorgung und dem Volontariat eingebettet werden. Nur durch ein Zusammenspiel aller Kräfte kann es gelingen, einem möglichen künftigen Pflegenotstand vorzubeugen.

Bedürfnisse ernst nehmen

Erster Schwerpunkt des Interregprojektes war die Erhebung der Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen mittels Fragebögen. Es ging um Information, Bekanntheitsgrad der Sprengeldienste, der Hauspflege und Hauskrankenpflege, um Beratung und Wünsche bezüglich Entlastungsbetreuung und Fortbildung. Die Erstinformationen halten nur 10 % der Befragten für nicht ausreichend. Viele holen sich diese bei Hausärzten (30 %) und in den Sozialsprengeln (20 %). Bessere Beratung fordern pflegende Angehörige über finanzielle Hilfen (78%), Heilbehelfe (77%), Krankheitsbild (77%), Pflegetechniken (74%) Entlastungsmöglichkeiten (71%), Versicherungsmöglichkeiten ( 59%), Konfliktbewältigung (51%).  Zu wenig informiert sind die Befragten über Kurzzeitpflege beziehungsweise über Tagespflegeheime. Gewünscht werden außerdem mehr Pflegebetten für die Kurzzeitpflege und längere Öffnungszeiten der Tagespflegeheime. Entlastungsbetreuungen werden als hilfreich angesehen, um sich erholen zu können. Gewünscht werden mehr Hausarztbesuche, eine Erhöhung des Pflegegeldes und Gespräche mit anderen Betroffenen. Als hilfreich werden Fortbildungen angesehen, unter anderem zu den Themen: Leben mit der Pflege zu Hause, seelische und körperliche Belastung, Sterben und Tod, rechtliche und finanzielle Aspekte, Entlastungsmöglichkeiten und Pflegetechniken. Selbsthilfegruppen und Fortbildungsveranstaltungen sind ebenfalls gewünscht. Allerdings sollte eine Teilnahme daran auch erleichtert werden, indem eine Betreuung des zu Pflegenden während dieser Zeit gewährleistet wird. Das österreichische Modell könnte beispielsweise Schule machen: Dort übernehmen professio-nelle Kräfte in diesen Fällen die Betreuung zu günstigen Tarifen.

Gemeinsam Netzwerke aufbauen

Die Fragebogenauswertung bildet die Grundlage für weitere Planungen und neue Initiativen der Sozialdienste. Schwerpunkte werden drei Säulen sein: 1. Ausbau der Information. Unter anderem wird eine umfassende und leicht verständliche Informationsbroschüre erstellt. 2. Beratung der pflegenden Angehörigen in rechtlichen, finanziellen, pflegetechnischen und seelischen Belangen. 3. Stärkung und Aufbau von Netzwerken zwischen den Strukturen im Sozial- und Sanitätsbereich unter Einbeziehung des Volontariats mit den Freiwilligen, sowie die Aktivierung der Selbsthilfegruppe, die es gibt, aber derzeit nicht tätig ist.

Aufgrund der Wünsche werden ab Jänner 2006 entsprechende Fortbildungen angeboten.

Weichen stellen

Vorstellung des INTERREG-Projektes „Pflegende Angehörige“ in Graun: v. l. Mario Massimo (MIAR), Gustav Tschenett (GWR), Andreas Fabi (Generaldirektor Sanitätsbetrieb Meran), Iren Steiner (Referentin), Christa Gangl (Tiroler Landesrätin) Peter Gohm (Projektkoordinator MIAR), Martha Stecher (Direktorin der Sozialdienste), Karin Tschurtschenthaler (Sprengelleiterin Obervinschgau), Irmgard Ladurner (Sprengelleiterin Mittelvinschgau) und Claudia Nolf („Humanocare“ Tirol)

In Zukunft wird sich die Zahl der professionelle Pflegerinnen und Pfleger erhöhen müssen. Und es wird Aufgabe der politischen Entscheidungsträger sein, die richtigen Weichen zu stellen. Einiges muss neu überdacht werden, so beispielsweise die Doppelgleisigkeit von Hauspflege und Hauskrankenpflege. Als hinderlich wirkt sich die Tatsache aus, dass die Hauspflege dem Sozialbereich unterstellt ist und die Hauskrankenpflege dem Sanitätsbereich. „Das ist viel zu schwerfällig und kostet zudem viel Geld“, erkärt Martha Stecher. „Wir haben zwei Dienste für letztendlich ein Anliegen, nämlich die Pflege zu Hause.“ Landesrat Richard Theiner verspricht Abhilfe. Eine bereits eingesetzte Arbeitsgruppe soll Vorschläge ausarbeiten, um die zwei Strukturen unter einen Hut zu bringen. Ein wichtiges Thema ist die Einführung einer Pflegeversicherung, ohne die zukünftige Pflege wohl nicht mehr bezahlt werden kann. Sie wird derzeit kontrovers diskutiert. Bislang wird über Höhe der Beiträge gestritten und darüber, wer die Einzahlungslasten zu tragen hat. Eine Lösung muss ehestens gefunden werden, um der ansteigenden Zahl an pflegebedürftigen alten Menschen gerecht zu werden und ihnen auch weiterhin einen Lebensabend in Würde ermöglichen zu können. Neu diskutiert werden muss nicht zuletzt die Höhe des Pflegegeldes und die Rentenabsicherung für Pflegende.

Es bedarf großer Anstrengungen und weitsichtiger politischer Entscheidungen, damit es nicht schon bald zu einem Pflegekollaps kommt.

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