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Die Spuren eines Mörders

8. September 2005

Vinschgerwind-Titel 10-05

Die Geschichte des SS-Sturmbannführers Schintlholzer, seiner Kriegsverbrechen in Italien und seiner Flucht 1946 in den Vinschgau. Für Judenmorde von der SS ausgezeichnet, starb er als alter Mann friedlich in seiner Innsbrucker Wohnung. Er wurde niemals für seine Taten belangt. Nach 60 Jahren wird dieses verdrängte Kapitel endlich aus verstaubten Panzerschränken geholt.

von Philipp Trafojer

Am 8. September 1943 scherte Italien aus dem Bündnis mit Hitler aus und schloss einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Dies war in Anbetracht der hoffnungslosen militärischen Lage der Achsenmächte voraussehbar gewesen. Die Deutschen hatten deshalb Vorbereitungen getroffen, Italien so weit als möglich zu besetzen und die Alliierten am Vormarsch von Süden her zu hindern. Bereits am 10. August waren am Reschen Einheiten der SS unter dem Kommando des Sturmbannführers Alois Schintlholzer in Stellung gebracht worden. Offiziell sollten sie gemeinsam mit italienischen Truppen die Grenze vor Angriffen von feindlichen Fallschirmjägern schützen. Ihre wahre Aufgabe bestand im Falle des erwarteten Frontwechsels Italiens in der Gefangennahme der italienischen Soldaten und der Sicherung der Grenze.

Am Abend des 8. September 1943 kam die erwartete Weisung aus Berlin: Schintlholzer gab seinen Soldaten den Befehl, die Italiener im Gasthaus „Reschen-Scheideck“ fest zu setzen. Gegen 22.00 Uhr erschien er selbst und verlangte nach dem Kommandanten der Carabinieri Ottavio Monaco. Offensichtlich war ihm mitgeteilt worden, dass dieser italienische Offizier sich während seiner Dienstzeit am Reschen angeblich als Feind der Südtiroler hervor getan hatte.

Der Tote im See

Der Carabinieribrigadier wurde zunächst in Schintlholzers Quartier – dem Gasthaus „Goldener Stern zur Post“ – verhört und dann Richtung Graun  abgeführt. Er wurde am See erschossen, seine Leiche ins Wasser geworfen. Vier Tage später tauchte die Leiche wieder auf. Sie wurde laut Zeitungsmeldungen aus dem Jahre 1947 von Einheimischen mit Steinen behängt erneut versenkt.

Alois Schintlholzer war schon vor diesem Ereignis als gewalttätiger Nazi aufgefallen. 1914 als Sohn eines Tapezierers in Innsbruck geboren, wurde er zunächst als Skilehrer, Bergführer und Sportboxer bekannt. Schon im Juni 1932 trat er der in Österreich verbotenen NSDAP bei. Wegen dieser Mitgliedschaft verbrachte er mehrere Monate im Gefängnis. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 gehörte er zur neuen Elite und konnte seine gewalttätigen Neigungen in der SS offen ausleben: So war er auch an den Ausschreitungen der Reichskristallnacht gegen die Innsbrucker Juden beteiligt. In den ersten Kriegsjahren kämpfte er am Balkan und in Russland und wurde dabei mehrfach ausgezeichnet und rasch befördert. Am Balkan führte er eine Sondereinheit an, deren besondere Aufgabe in der Deportation bzw. der Ermordung von Juden bestand.

Der „Henker der Juden“

Am 12. September 1943 kam er von Reschen nach Meran, wo sofort die organisierte Jagd auf die verbliebenen jüdischen Bewohner der Stadt begann. Von den rund 60 Meraner Juden, die den Einmarsch der Deutschen noch miterlebt hatten, wurden am 16. September insgesamt 22 verhaftet. Von den restlichen in der Zwischenzeit nach Oberitalien oder Richtung Schweiz Geflüchteten wurden Tage später einige in der Provinz Trient und einer in Glurns verhaftet.

In der Passerstadt waren vor allem alte und kranke Juden und einige ihrer Familienangehörige verblieben. Sie wurden zumeist von Einheimischen verhaftet, die im S.O.D. (Südtiroler Ordnungsdienst) im S.D. (Sicherheitsdienst), der SS  oder der Gestapo Dienst taten. Keiner der beteiligten Männer wurde für diese Aktion nach dem Krieg verurteilt. Auch Schintlholzer wurde für seine Beteiligung nie belangt.

Zwei jüdische Frauen hatten unmittelbar vor ihrer Verhaftung Gift genommen. Sie wurden sterbend in die provisorische Sammelstelle „Casa del Balilla“ in der Otto-Huber-Straße gebracht. Am späten Abend des 16. September wurden sämtliche bis dahin Verhafteten in einen Lastwagen verfrachtet und nach Nordtirol ins Lager Reichenau bei Innsbruck gebracht. Wer von ihnen nicht dort starb, wurde 1944 deportiert und getötet – wahrscheinlich in Auschwitz. Von den 25 im September 1943 verhafteten und namentlich bekannten Meraner Juden überlebte nur die Lichtensteinerin Baronin Walli Hoffmann die Kriegsjahre. Das geraubte Vermögen der Getöteten wurde auch nach dem Krieg zum größten Teil nicht mehr zurückgegeben.

Schintlholzer blieb bis zum Kriegsende in Italien.  Er wurde nach Predazzo versetzt, wo er eine Schule der SS-Gebirgsjäger leitete. Am 20. August 1944 nahm er mit seinen Soldaten an einer gegen die Partisanen gerichteten Aktion des Polizeiregimentes Bozen, 6. Kompanie, teil. Dieses aus Südtirolern bestehende Regiment wurde vor allem bekannt, weil 35 seiner Mitglieder in Rom in der Via Rasella einem Anschlag von Partisanen zum Opfer fielen.

Das Massaker im Biois

An die hundert Bewohner des Biois-Tales mit den Hauptorten Caviola und Falcade  wurden im Laufe des zweitägigen Einsatzes verhaftet und zur Kontrolle ins Hauptquartier, dem Gasthaus Focobon in Falcade, gebracht. Im Laufe der Jagd auf mögliche Partisanen verletzte sich der Kommandant des Regimentes. Schintholzer übernahm als ranghöchster Offizier seinen Platz.

Unter seiner Anweisung geriet der Anti-Partisanen-Einsatz zu einer regelrechten Strafaktion gegen die lokale Bevölkerung. Häuser wurden niedergebrannt, 39 Einheimische kurzerhand getötet. Einige wurden unmittelbar bei ihrer Ergreifung, andere einige Zeit später erschossen. Einige wurden sogar in ihren Häusern verbrannt. Die im Gasthaus Focobon Zusammengetrieben wurden gefoltert, um die Namen von Partisanen aus ihnen herauszupressen.

Schintlholzer befahl rund drei Monate später eine weitere Strafaktion im Gebiet von Falcade. Er legte im Befehl an seinem untergebenen SS-Sturmbannführer Slugge ausdrücklich fest, dass dabei auch das Gasthaus Focobon nieder zu brennen sei. Slugge konnte keine Partisanen finden und brannte deshalb auch das Gasthaus nicht nieder.

Im Februar 1945 wurde Schintlholzer  mit der Leitung der Gestapo von Trient betraut. Auch in dieser Funktion blieb er seiner Linie als sadistischer und linientreuer Nazi treu.

Die Rache der Besiegten

Selbst das Ende des Krieges konnte Schintlholzer nicht vom Morden abhalten. Am 2. Mai 1945, dem Tag des Waffenstillstandes in Italien, machte er sich mit seiner Truppe auf den Rückzug  von Predazzo Richtung Norden. Im Gebiet von Molina di Fiemme (Trentino) hielten  sich Schintlholzers Männer drei Tage lang auf. 27 Bewohner starben in diesem Zeitraum auf gewaltsame Weise. Sie wurden von den SS-lern erschossen, erstochen oder in ihren Häusern verbrannt. Mehreren von ihnen waren zuvor die Augen ausgedrückt worden.

Wie manch anderen Ortes entlud sich der Frust der besiegten Soldaten auch in Molina di Fiemme in sinnlosen und durch keine Befehle gedecken Massakern an der Zivilbevölkerung. Auch die Erschießungen von Laas ereignete sich beispielsweise erst nach der Verkündigung des Waffenstillstandes.

Schintlholzer wurde noch auf italienischem Staatsgebiet von alliierten Truppen verhaftet. Er wurde in ein amerikanisches Kriegsgefangenlager,  wahrscheinlich bei Rimini, gebracht. Da er keine Ausweispapiere bei sich hatte und er bei Verhören jegliche Beteiligungen an Kriegsverbrechen bestritt, blieb er unbehelligt.

Bei einem Massenausbruch aus dem Lager gelang dem Mörder die Flucht. Wiederum versuchte er nach Norden über die Grenze zu entkommen. In Nordtirol verfolgten zu diesem Zeitpunkt die Franzosen als Besatzungsmacht Kriegsverbrecher noch mit aller Schärfe des Gesetzes. Gegen Schintlholzer war bereits 1946 in Innsbruck ein Haftbefehl erlassen worden. Der Geflohene tauchte deshalb vorerst im relativ sicheren Südtirol unter. Als Versteck wählte er bewusst einen entlegenen Ort aus. Die Italiener suchten ihn: Den Carabinieri von Meran war mitgeteilt worden, dass sich ein gesuchter Kriegsverbrecher in einem Seitental des  Vinschgau aufhalten würde. Sie observierten daraufhin das genannte Gebiet.

Die Verhaftung

Am Morgen des 28. Mai 1947 drangen die Carabinieri schließlich in das „Grand Hotel Sulden“ in Sulden ein. In einem der Zimmer überraschten sie den noch schlafenden Sturmbannführer und nahmen ihn fest. Im angrenzenden Zimmer fanden sie die Waffen des Gesuchten: zwei Pistolen und mehrere Handgranaten. Diesmal wurde Schintlholzer eindeutig identifiziert. Die italienische Presse jubelte über den Fang und kündigte ihren Lesern einen raschen Prozess an. Allgemein wurde erwartet, dass dabei ein Todesurteil gefällt würde.

Die Ermittlungen

Zunächst wurde der Sturmbannführer verhört und bis zum erwarteten Prozessbeginn eingesperrt. Von den Amerikaner erhielten die Italiener deren Unterlagen zu den Massakern von Molina und Falcade. Daraus und aus eigenen Nachforschungen wurde eine Akte über Schintlholzer und seine Verbrechen angelegt. Dann blieb dieser Papierstapel einfach liegen – so lange, bis er vergessen war. Schintlholzer wurde schließlich ohne Prozess in die Freiheit entlassen. Er kehrte nach Innsbruck zurück, wo er 1961 festgenommen wurde. Im März des folgenden Jahres wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen, das Verfahren gegen ihn eingestellt.

In Italien erreichten 1970 Angehörige von in Falcade Ermordeten, dass der Prozess wieder aufgenommen wurde. Die Ermittlungen mussten neu begonnen werden, da die meisten Akten nicht mehr zu finden waren.

Mehrmals wurde das Verfahren wegen diverser Mängel und fehlender Akten unterbrochen, an andere Instanzen weiter- oder zurückgereicht. Nach 18 Jahren wurde Schintlholzer schließlich 1988 zu lebenslanger Haft verurteilt. Österreich aber lieferte den alten Mann nicht mehr aus.

Am 18. Juni 1989 starb Schintlholzer. Anlässlich seines Todes erschienen zwei Todesanzeigen in der Tiroler Tageszeitung: eine von Seiten seiner SS-Kameraden, eine im Namen der gesamten Familie. Beide Anzeigen enthielten den SS-Leitspruch. Bereits einen Tag später distanzierte sich eine Tochter von der Anzeige, die ihre Mutter geschaltet hatte. Sie tat dies im Namen der eigenen Familie und mit folgenden Worten:

„Die Anzeige zum Tod des ehemaligen SS-Sturmbannführers Luis Schintlholzer mit dem SS-Treuespruch „Seine Ehre heißt Treue“ erschien zu Unrecht im „Namen aller Kinder mit Familien“. Wir distanzieren uns mit Nachdruck von dieser „Treueerklärung“ zu einer Organisation, die für die NS-Verbrechen verantwortlich ist.“

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